Gerne per Du in der Arbeitswelt oder doch lieber SIE?
Gerne per DU in der Arbeitswelt
Soll man es wagen? Und will man das überhaupt?
#gernperDu oder doch lieber SIE? Diese Frage wirkt erst einmal nicht kriegsentscheidend im unternehmerischen Kontext. Aber je länger man sich mit dem Thema „Gerne per DU in der Arbeitswelt“ beschäftigt, um so mehr wird einem bewusst, dass es tief in unserer Kultur verwurzelt ist und sogar maßgeblich zur eigenen Identitätsbildung beiträgt. Aber wie sinnvoll ist es, in einer globalisierten Welt an den konservativen deutschen Traditionen festzuhalten? Sind Respekt, professionelle Distanz und Höflichkeit nur im Kontext der Ansprache per SIE möglich?
An kaum einer Frage scheiden sich die Geister so emotional wie an dem DU oder SIE im beruflichen Umfeld: Einige Menschen möchten einfach aus Prinzip erst einmal gesiezt werden, solange sie jemanden noch nicht gut kennen. Für Viele hat das Thema mit Höflichkeit, Respekt und Anerkennung der eigenen Stellung zu tun. Und manchmal stecken auch negative Erfahrungen dahinter: Die hitzköpfige Kollegin verwechselt das DU mit einer Legitimation zu unangemessenen Verhaltensweisen und groben Umgangsformen. Oder der vermeintlich nette Kunde fordert eine Sonderbehandlung, „weil man sich doch so nahesteht“.
DU im eigenen Unternehmen
Trotzdem ist zwischen Kollegen:innen und auch Vorgesetzten das DU bereits auf dem Vormarsch – laut Umfragen duzt mittlerweile jeder 3. Arbeitnehmer:in vom Chef bis zu den Azubis alle im eigenen Unternehmen.
In vielen, vor allem alteingesessenen deutschen Unternehmen ist aber noch immer das Siezen an der Tagesordnung. Es steht für eine professionelle Distanz, für Höflichkeit und vor allem für Respekt. Laut Knigge ist es sogar die Regel: „Jede volljährige Person hat nach allgemeiner Auffassung ein Recht darauf, mit ‚Sie‘ angesprochen zu werden“, heißt es da.
Gerade durch die Globalisierung und den stetigen kulturellen Wandel ändern sich aber auch gesellschaftliche Konventionen fortlaufend. Und so wird sich das DU vermutlich immer weiter durchsetzen. Bei allem Fortschritt ist es, gerade im beruflichen Kontext, wichtig zu wissen, wie man trotzdem höflich bleibt. Denn Höflichkeit vermittelt dem Gegenüber, egal ob in der Hierarchie höher oder niedriger gestellt, Wertschätzung und auch Respekt. Selbst bei Meinungsverschiedenheiten oder Antipathie.
DU gegenüber Kunden
Und nicht nur innerbetrieblich gehen Unternehmen zunehmend zum DU über. Nehmen wir das Beispiel IKEA. Dort werden die Kunden:innen grundsätzlich mit einem skandinavisch-vertrauten DU angesprochen. Im Falle von IKEA passt das zum Herkunftsland, welches gleichzeitig das Image definiert und auch zum Do-it-yourself-Charakter der Produkte passt. Alles ist unkompliziert, persönlich und auf Augenhöhe. Das gilt allerdings nur für die Endverbraucher:innen – seine Geschäftskunden:innen spricht das Unternehmen weiterhin ganz konservativ mit SIE an.
Das DU gegenüber Kunden erzeugt im besten Fall eine gewisse Nähe und Vertrautheit. Und es hilft auch dabei, ein bestimmtes Image bzw. eine gewisse Haltung gegenüber den Kunden aufzubauen:
-Wir kennen uns -Du bist uns wichtig -Du kannst uns vertrauen -Bei uns kannst Du sein, wie Du bist
Das DU hilft dabei, eine vertrauensvolle, vertraute und persönliche Beziehung zu schaffen. Es vermittelt, dass man auf Augenhöhe fair und unkompliziert miteinander umgeht.
Aber passt das DU zu jedem Unternehmen, zu jedem Produkt oder Angebot und vor allem zu jeder Zielgruppe? Oder gilt es auch hier, sich mit Fingerspitzengefühl voranzutasten, was sich für das eigene Unternehmen und die eigenen Kunden:innen richtig anfühlt? In einigen Bereichen, wie den sozialen Medien ist das DU mittlerweile quasi ein Muss. Auch in der Medienbranche oder im Start-up Bereich begegnet es einem weit häufiger als das formale SIE.
Wenn die Zielgruppe allerdings eher zu einer Generation gehört, die das SIE noch als Zeichen von Respekt, z.B. der Jüngeren gegenüber den Älteren oder gegenüber Höhergestellten und Autoritäten versteht, ist es nicht mehr ganz so einfach. In dieser Generation gehört das respektvolle SIE inhärent zum Selbstverständnis der eigenen Stellung in der Gesellschaft. Das DU kann dagegen geradezu degradierend wirken.
Grundregeln für das DU und SIE
Bei der Frage nach der richtigen Ansprache muss man mit Fingerspitzengefühl vorgehen, sowohl bei Mitarbeiter:innen, als auch Richtung Kunden:innen. Beide Parteien merken intuitiv, ob das DU passt und die Botschaft dahinter ehrlich ist oder nicht.
Die Kunden:innen ungefragt direkt mit DU anzusprechen ist daher eher ungünstig: Das Ziel dadurch eine engere Beziehung und mehr Nähe aufzubauen, wird durch ein zu forsches Vorgehen gefährdet. Denn durch ein zu schnelles und ungefragtes DU fühlt sich das gegenüber häufig eher abgeschreckt und unwohl.
Um mögliche Fettnäpfchen zu umgehen, bietet es sich deshalb an, einige Regeln zu beachten:
1. Alter Der Ältere bietet dem Jüngeren das DU an. Es gilt als Zeichen von Wertschätzung und Höflichkeit, ältere Menschen mit SIE anzusprechen.
2. Geschlecht Eine der ältesten Knigge-Regeln lautet: Die Frau bietet dem Mann das DU an. Diese Tradition wird allerdings nur noch in sehr konservativen Kreisen gepflegt.
3. Hierarchie Im beruflichen Kontext sieht die Sache allerdings etwas anders aus: Hier hebeln die Hierarchien alle obigen Regeln aus. Im Job bietet grundsätzlich der Ranghöhere das DU an. Also auch der junge Chef der älteren Kollegin. Andersherum gilt solch ein Angebot als Affront, als Zeichen, dass die Autorität des Chefs nicht anerkannt wird.
4. Gegenseitigkeit Das DU soll Nähe und Vertrauen und damit eine Basis für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit schaffen. Das funktioniert nur, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet und das DU auch gegenseitig Anwendung findet.
5. Zeitraum Wenn man sich einmal auf das DU verständigt hat, gilt dieses normalerweise lebenslang. Ein Rückzug auf das SIE kann einer Herabsetzung gleichkommen.
Diese Regeln können eine gute Orientierung bieten, obwohl sie im heutigen Arbeitsleben mehr und mehr aufweichen. Einer der Hauptgründe dafür ist, neben der Globalisierung, die Verflachung von Hierarchien in vielen Unternehmen. Dazu kommt die Haltung einer neuen Generation, die sich dem konventionellen SIE nicht mehr verpflichtet fühlt.
Das DU ablehnen oder sogar zurücknehmen
Wer das DU angeboten bekommt, darf es jederzeit ablehnen. Allerdings ist darauf zu achten, dass dies stets höflich passiert – immerhin ist das Angebot zunächst Ausdruck von Vertrauen und Wertschätzung. Wenn man dieses forsch zurückweist, fühlt das Gegenüber sich möglicherweise gekränkt. Deshalb kann es helfen, die Entscheidung zu begründen. Zum Beispiel so:
„Vielen Dank für das nette Angebot, das weiß ich zu schätzen. Allerdings ist es mir wichtig, im Beruf eine professionelle Distanz zu wahren und deshalb möchte ich lieber beim SIE bleiben.“
Eine solche Absage ist gerade in Richtung Chef oder Kunde immer etwas heikel, aber trotzdem grundsätzlich erlaubt. Auch hier gilt es, die Entscheidung gut abzuwägen.
Und noch ein bisschen kompliziert ist die Situation, wenn man das DU angenommen hat, es sich dann aber doch anders überlegt. In diesem Fall sollte man sich innerhalb von 24 Stunden umentscheiden, also wenn man die berühmte „Nacht darüber geschlafen“ hat. Und auch dann geht es nur mit sehr viel Feingefühl.
Lieber per DU oder doch besser per SIE? – Ein individueller Entscheidungsweg
Wie nähert man sich jetzt also dem Thema und was passt zum eigenen Unternehmen, den Mitarbeitern und auch den Kunden?
Hier raten Experten zu einer individuellen Entscheidung, je nach Kunde und Situation: Bewegt man sich beispielsweise in der Medienbranche oder im Start-up-Umfeld ist das DU meistens schon gang und gäbe und somit problemlos umsetzbar. Ebenso kann man nach Kanälen unterscheiden: Kommuniziert man über Social-Media bietet sich das Du an. Im persönlichen Gespräch setzt man dagegen erst einmal auf das SIE.
Um herauszufinden, wie die eigene Zielgruppe dazu steht, sollte man direkt mit ihr ins Gespräch gehen, ohne einzelne Kunden mit einer zu forschen Ansprache unter Druck zu setzen. Das Wichtigste bei dieser Frage ist eigentlich gar nicht die Ansprache, sondern die Beziehung zwischen den Menschen, die sich für alle Beteiligten gut und richtig anfühlen soll.